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Für RKs, Fünf Jahre "Amoris laetitia": Viel mehr als eine Fußnote

Für RKs, Fünf Jahre "Amoris laetitia": Viel mehr als eine Fußnote
Eigenes Aktionsjahr zu Ehe und Familie eröffnet


Das Papst-Schreiben "Amoris laetitia" steht in den Köpfen vieler vor allem für eines: eine Fußnote, die wiederverheirateten Geschiedenen in bestimmten Fällen den Empfang der Kommunion ermöglicht. Bei genauerer Betrachtung sagt das Dokument jedoch sehr viel über das Pontifikat von Franziskus aus.

"Amoris laetitia" ist nicht bloß irgendein Papier aus der Feder von Papst Franziskus: Das nachsynodale Schreiben, das vor genau fünf Jahren am 8. April 2016 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, gilt als eines der bedeutendsten Dokumente des amtierenden Pontifex – und das nicht etwa, weil vor drei Jahren eigens ein Musikstück zu Ehren von "Amoris laetitia" geschrieben wurde. Sondern vielmehr, weil sich das rund 300 Seiten starke Schreiben an einer Neuorientierung der katholischen Lehre von Ehe und Familie versucht und damit innerkirchliche Konflikte aufgelöst hat, bis hin zur offenen Opposition von vier Kardinälen gegenüber dem Papst.

Anlass für das umstrittene Dokument war die Zusammenfassung der Ergebnisse der Bischofssynoden der Jahre 2014 und 2015, deren Ziel es war, die katholische Ehe- und Familienpastoral zu erneuern. Papst Franziskus beschäftigt sich daher in dem nach seinem Incipit "Freude der Liebe" benannten Schreiben mit den Themen Partnerschaft, Liebe, Sexualität und Kindererziehung. Kennzeichnend für "Amoris laetitia" ist zum einen die grundsätzliche Beibehaltung der geltenden kirchlichen Sichtweise und Lehre zu Ehe, Familie und Geschlechtlichkeit. So hebt die Exhortation den besonderen Wert der Keuschheit hervor, lehnt Methoden der künstlichen Befruchtung ab und spricht sich gegen eine Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mit der Ehe aus.

Fußnote 351 machte "Hilfe der Sakramente" möglich

Zum anderen weist Franziskus in seinem Schreiben darauf hin, dass 

mehr Barmherzigkeit in der Anwendung der Morallehre nötig sei. Er mahnt einen ehrlichen Blick auf die Lebenswirklichkeit der Menschen an und weist darauf hin, "dass nicht alle doktrinellen, moralischen oder pastoralen Diskussionen durch ein lehramtliches Eingreifen entschieden werden müssen". Dabei wirbt der Papst sogar für "verschiedene Interpretationen einiger Aspekte der Lehre oder einiger Schlussfolgerungen", die nebeneinander in der Kirche bestehen könnten, ohne die notwendige Einheit von kirchlicher Lehre und Praxis zu gefährden.

Was diese doch sehr theoretisch klingenden Worte konkret bedeuten können, macht das Kirchenoberhaupt versteckt in einer Fußnote im achten Kapitel deutlich. In der Anmerkung mit der Nummer 351 schreibt Franziskus, dass die "Hilfe der Sakramente" Menschen zuteilwerden könne, die "in einer objektiven Situation der Sünde – die nicht subjektiv schuldhaft ist oder es zumindest nicht völlig ist" leben würden. Im Kontext von "Amoris laetitia" bezieht sich diese Anmerkung auf geschiedene und wiederverheiratete Paare, die nach katholischer Lehre die Sakramente eigentlich nicht empfangen dürfen.

In den Monaten nach der Veröffentlichung des Schreibens entbrannte eine rege Auseinandersetzung um die korrekte Interpretation und Anwendung der päpstlichen Anregungen. Die deutschen Bischöfe zeigten sich "überaus dankbar" über "Amoris laetitia". "Niemand darf ausgeschlossen werden von der Barmherzigkeit Gottes", machten sie als "Tenor" des Schreibens aus. Der damalige Erzbischof von Philadelphia, Charles Joseph Chaput, empfahl wiederverheirateten Geschiedenen hingegen, wie "Bruder und Schwester" zu leben, wenn sie die Kommunion empfangen wollten. Im September 2016 schuf Franziskus nach einigen Monaten der Irritation endlich ein wenig Klarheit: In einem Brief an einen argentinischen Bischof bestätigte er die Auslegung seines Schreibens durch die Bischöfe der Region Buenos Aires.

Die Oberhirten hatten sich in einer Handreichung an ihre Priester mit dem Empfang der Sakramente durch wiederverheiratete Geschiedene auseinandergesetzt. Sie warnten zwar davor, von einer grundsätzlichen "Erlaubnis" zum Kommuniongang zu sprechen. Aber sie bezeichneten eine mögliche Zulassung als Teil eines geistlichen Prozesses, in dem einem begleitenden Priester eine wichtige Rolle zukommt. "Der Text ist sehr gut und erklärt genau die Bedeutung des achten Kapitels von 'Amoris laetitia'", schrieb der Papst dazu. Doch nicht alle Kleriker und Gläubigen wollten ihm dazu beipflichten.

"Dubia"-Kardinäle forderten Papst heraus Kurz nach der Veröffentlichung des Papstbriefs verfassten die als konservativ geltenden Kardinäle Walter Brandmüller, Raymond Leo Burke sowie die inzwischen verstorbenen Carlo Caffarra und Joachim Meisner ein persönliches Schreiben an Franziskus. Darin baten sie ihn, fünf "Dubia" hinsichtlich der Auslegung und Einordnung von "Amoris laetitia" zu beantworten und so die ihrer Meinung nach vorherrschende "große Verwirrung" in der Kirche zu klären. Nach der geltenden Lehre sei die Ehe unauflösbar und die Betroffenen lebten in einem fortgesetzten Stand der schweren Sünde, so ihre Argumentation. Nachdem sie keine Antwort aus dem Vatikan erhielten, veröffentlichten sie im November 2016 schließlich ihre Fragen. Kurz danach brachte Burke eine "formale Korrektur" des Papstes ins Spiel und verhärtete damit die Fronten noch einmal.

Doch den innerkirchlichen Machtkampf konnten die "Dubia"-Kardinäle nicht für sich gewinnen. Im Dezember 2017 veröffentlichte der Vatikan in seinem Amtsblatt eine Orientierungshilfe, die in Einzelfällen die Zulassung zu den Sakramenten der Versöhnung und der Eucharistie für wiederverheiratete Geschiedene vorsieht. Kardinalsstaatsekretär Pietro Parolin versah den Text mit dem Zusatz, dass diese Regelung "authentisches Lehramt" sei. Zuvor hatte sich auch die Deutsche Bischofskonferenz für eine solche Gewissensentscheidung im Einzelfall ausgesprochen. Der Wiener Theologe Jan-Heiner Tück sah darin, anders als die vier Kardinäle, eine "legitime Fortschreibung der bisherigen Lehre" und keinen "Traditionsbruch". Er sah jedoch, anders als der Papst in seinem Schreiben, die "Einheit der katholischen Weltkirche" gefährdet.

Der von Franziskus eingeläutete Perspektivwechsel hin zu einem offeneren Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen in der Seelsorge hat seinen Ausgangspunkt nicht umsonst in einem Teil von "Amoris laetitia", der mit "Die Normen und die Unterscheidung" überschrieben ist. Die ignatianische "Unterscheidung der Geister" ist für den Jesuiten auf dem Petrusstuhl eine wichtige Methode beim Treffen von Entscheidungen. Franziskus, der lange als Beichtvater und geistlicher Begleiter tätig war, sucht damit im Rahmen der Befragung seines Gewissens einen Kompromiss zwischen Regeln und Realität. Bei "Amoris laetitia" ist ihm das gelungen – auch, weil er das Papier als die "Frucht der Arbeit und des Gebets der ganzen Kirche, mit der Vermittlung zweier Synoden und des Papstes" ansieht, wie er seinem Brief an den argentinischen Oberhirten betont. Das nachsynodale Schreiben sei eben kein eigenmächtiges Produkt des Papstes. 

Bei einer späteren Exhortation im Nachgang einer Bischofssynode kam Franziskus jedoch zu einem anderen Ergebnis: In "Querida Amazonia" nach der sogenannten Amazonas-Synode fand sich letztlich keine Fußnote oder andere Kommentierung, die die Weihe von "viri probati" erlaubt hätte. Die Möglichkeit verheirateter Priester war auf der Bischofsversammlung wohlwollend diskutiert und danach besonders in Europa von vielen Gläubigen als Reformschritt des Papstes erhofft worden. Doch warum entschloss sich Franziskus dieses Mal nicht für eine solche Öffnung? Eine im September veröffentliche persönliche Notiz des Papstes erklärt es: Es habe bei der Synode zwar eine "gute, produktive und sogar notwenige" Debatte zu diesem Thema gegeben. Aber es sei "nicht mehr als das" gewesen, da keine echte "Unterscheidung" stattgefunden habe, schrieb Franziskus damals.

Die "Unterscheidung der Geister" lässt Franziskus durchaus zu praktischen Entscheidungen in der Seelsorge finden – doch sie trägt als geistliches Instrument auch dazu bei, dass sich der Pontifex zwischen den kirchenpolitischen Stühlen wiederfindet. Der Fraktion der "Dubia"-Kardinäle entfernt er sich zu sehr von der kirchlichen Lehre; den Reformwilligen ist er zu behäbig, um wirkliche Reformen in der Kirche umzusetzen, die über Einzelfallentscheidungen hinausgehen. Auch "Amoris laetitia" steht für diesen Zwiespalt des Papstes, der sein gesamtes Pontifikat durchzieht.

Aktuell bleibt bitterer Nachgeschmack nach Lektüre

Damit sein nachsynodales Schreiben nicht nur mit einer Fußnote in Verbindung gebracht wird, hat Franziskus am 19. März, dem Hochfest des heiligen Josef und gleichzeitig dem Tag der Unterzeichnung von "Amoris laetitia", ein Aktionsjahr für Ehe und Familie eröffnet. Der Pontifex lud alle Gläubigen ein, sein Papier, das er auch als Handreichung für Eheleute und Seelsorger sieht, erneut zu lesen. Angesichts tiefgreifender gesellschaftlicher Veränderungen sei "ein neuer Blick" der Kirche auf die Familie nötig sei, es genüge nicht, die Bedeutung der althergebrachten Lehre zu bekräftigen. Die Pastoral brauche Mitgefühl, wenn sie sich um Zerbrechlichkeit und Wunden kümmern wolle. Auch die besonders für Familien sehr belastende Corona-Krise hat Franziskus dabei im Blick.

In der Tat eröffnen sich in "Amoris laetitia" neue Blickwinkel, etwa in der für kirchliche Verhältnisse erfrischenden Sicht auf die Erotik in der ehelichen Liebe. Diese sei stets mit dem "Streben nach Vergnügen" verbunden. Sexualität wird als "wunderbares Geschenk" bezeichnet. Doch für nicht wenige Gläubige werden diese Worte aktuell einen bitteren Nachgeschmack zurücklassen: Nach dem Nein aus dem Vatikan zu den Segnungen von homosexuellen Paaren fordern viele vom Papst in diesem Punkt eine Neuausrichtung der kirchlichen Lehre. Doch mit "Amoris laetitia" wird dies nicht zu machen sein, selbst mit dem realistischen Blick der "Unterscheidung der Geister". Denn trotz aller durch Franziskus öffentlich ausgedrückten Wertschätzung für Schwule und Lesben, hat das Schreiben die Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Paaren mit der Ehe entschieden zurückgewiesen –
ohne eine Fußnote als Hoffnungsschimmer.

Von Roland Müller

Kommentare

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hansfeuerstein 08.04.2021 23:35
Tja, schon erstaulich, dass das ganze Dokument in der äusseren Wahrnehmung auf die Fußnote reduziert wurde....
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