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Wenn wir das Alte Testament vernachlässigen, rächt sich das

Wenn wir das Alte Testament vernachlässigen, rächt sich das
Theologe im Interview über Gottesbilder im Alten und Neuen Testament

Schnocks: Wenn wir das Alte Testament vernachlässigen, rächt sich das

Der Gott des Alten Testaments ist zornig, der Gott des Neuen lieb – so lautet ein bekanntes Vorurteil. Aber stimmt das? Der Theologe Johannes Schnocks sagt: Nein. Im Interview erklärt er auch, warum es sich die Kirche im Umgang mit dem ersten Teil der Bibel manchmal zu einfach macht.

Wie kann man mit Gottesbildern in der Bibel umgehen, die sich scheinbar ausschließen? Und wie lässt sich der Gott der Bibel überhaupt in wenigen Worten beschreiben? Darüber spricht Johannes Schnocks, Professor für Zeit- und Religionsgeschichte des Alten Testaments an der Universität Münster, im Interview. 
Er erklärt außerdem, warum das Alte Testament zu Unrecht in Liturgie und Predigt vernachlässigt wird. 

Frage: Herr Schnocks, ein ewiges Klischee besagt, dass der Gott des Alten Testament der zornige, strafende Gott und der Gott des Neuen Testaments der liebende, der die Toten auferweckt. Inwiefern stimmt das, Herr Schnocks?

Schnocks: Das stimmt eigentlich gar nicht. Der Gott des Alten Testaments ist genauso auch ein liebender und barmherziger Gott, und die Auferweckung der Toten hat zunächst einmal mit der Frage nach einem zornigen oder barmherzigen Gott wenig zu tun. Am zweiten Fastensonntag hatten wir im Evangelium die Verklärungsgeschichte, in der Jesus seinen Jüngern sagt, sie sollten über das Erlebte nicht reden, bis er von den Toten auferstanden ist. Als die Jünger hinabsteigen, fragen sie sich, was es bedeute, von den Toten aufzuerstehen. Damit bekommen wir eine Grundszene des frühen Christentums vor Augen geführt. Die Menschen fragen sich: Was passiert da eigentlich mit diesem Jesus von Nazareth und wie können wir das theologisch verstehen? Die Antwort der frühen Christen darauf war ein Blick in ihre Heilige Schrift – die wir heute als Altes Testament in unserer Bibel haben. Und hier finden wir auch die Grundlagen für den Glauben an die Totenauferweckung. Deshalb ist im Neuen Testament von keinem anderen Gott die Rede als im Alten Testament. Diese Unterscheidung zwischen dem bösen Demiurgen im Alten Testament und dem liebenden Gott im Neuen Testament ist darum grundlegend falsch.

Frage: Nichtsdestotrotz wirkt es so, als wenn sich die Gottesbilder in den beiden Testamenten unterscheiden würden. Wie kommt das?

Schnocks: Wir haben sowohl im Alten als auch im Neuen Testament wirklich eine Multiperspektivität. Aber in der Bibel finden wir keine dogmatisch eindeutigen Aussagen über Gott, wie wir sie später in der kirchlichen Tradition finden. In beiden Teilen der Bibel werden uns vielmehr in hochliterarischen Texten Gotteserfahrungen von Menschen geschildert. Das führt dazu, dass wir gerade im Alten Testament sehr viele unterschiedliche Perspektiven haben. Ich halte das für einen wichtigen Reichtum, der uns helfen kann, immer wieder mit anderen Augen auf Gott, die Schöpfung oder unsere Mitmenschen zu schauen. Wir haben oft eher ein Problem, die Texte gerade in ihrem zeitlichen Kontext adäquat zu verstehen – und gar nicht so sehr damit, dass wir dort Gottesbeschreibungen finden, die grundverschieden sind.

Frage: Wie sollte man damit umgehen?

Schnocks: Zunächst einmal, indem wir die Texte besser kennenlernen und sie dann in ihrem Kontext betrachten. Es ist sicherlich auch die Aufgabe von Exegetinnen und Exegeten, die Texte in ihre Zusammenhänge zu stellen und den Menschen zu helfen, sie zu verstehen. Unsere Logik funktioniert nicht immer so, wie die Texte funktionieren. Zum Beispiel würden wir nach unserem heutigen Sprachgebrauche sagen, dass sich Barmherzigkeit und Gerechtigkeit ausschließen. Wenn wir aber gerade in die Texte des Alten Testaments schauen, finden wir einige Stellen, wo Gott als barmherzig und gerecht gesehen wird. Dazu muss man sich klar machen, was Barmherzigkeit im gesamten Alten Orient bedeutet hat: Barmherzigkeit ist im Grunde die Rettung eines Menschen, der sich selbst nicht mehr helfen kann, weil er zum Beispiel Opfer von Gewalt wird und es aus eigener Kraft nicht schafft, gegen seine Feinde anzugehen. Barmherzigkeit ist die rettende Form der Gerechtigkeit Gottes.

Frage: Wenn man also konkret auf solche Dinge wie Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und andere Gottesbilder eingeht, die sich scheinbar ausschließen, ist es wichtig, dann auf den zeitlichen Kontext zu schauen?

Schnocks: Ja, denn ohne die Historisierung kommen wir nicht mit einem adäquaten Verständnis an die Texte heran. Das sagt nebenbei auch schon das Zweite Vatikanischen Konzil. Der Punkt ist aber, dass wir damit eigentlich noch viel mehr gewinnen, als Missverständnisse zu vermeiden. Damit merken wir auch, wie grundsätzlich etwa das Konzept der Barmherzigkeit unseren Gottesglauben und damit auch unseren Umgang miteinander prägt. Es ist zwar mühsam, wir werden aber auch damit belohnt, dass wir eine ganz andere Tiefe in unserem Glaubensleben erreichen können.

Frage: Wie würden Sie den Gott der Bibel in wenigen Worten beschreiben?

Schnocks: Das Problem ist, dass die biblischen Texte nicht wenige, sondern viele Worte daraus machen. Wichtige Elemente wären zum Beispiel: Er ist ein persönlicher Gott, zu dem ich beten kann. Er ist ein Schöpfergott und damit einer, der der Welt zugewandt ist, den ich aber auch in meiner eigenen Zuwendung zur Welt, zur Natur, zu den Menschen immer wieder entdecken kann. Das heißt, er hat etwas mit unserer Welt zu tun. In dieser Zuwendung zur Welt ist er ein Gott, der die Gemeinschaft mit den Menschen sucht. Da gibt es tolle Texte in den Psalmen oder im Hiob-Buch. Er ist ein Gott, der auch im Kult, im Gebet, im gemeinsamen Gotteslob erfahrbar ist, der so sehr wie er Schöpfergott ist auch Rettergott ist. Dabei geht es mir nicht um einen Gegensatz zu naturwissenschaftlichen Entwürfen, sondern darum, dass wir in dieser Welt, in der wir leben, einen Sinn finden können – beispielsweise im menschlichen Miteinander oder einem verantwortlichen Umgang mit der Natur. Letztlich ist religionsphilosophisch immer die Frage, warum wir Menschen nicht verzweifeln müssen, obwohl wir uns so winzig in dieser großen Welt wiederfinden. Darauf geben uns in der Tat die alttestamentlichen Texte Antworten mit ihrer Rede von Gott.

Frage: Und trotzdem kann man den Eindruck gewinnen, dass das Alte Testament in Liturgie und Predigt oft zu kurz kommt. Aus Ihrer Sicht zu Unrecht?

Schnocks: Ja, auf jeden Fall! Und ich glaube auch, dass wir unseren Glauben damit so sehr verkürzen, dass sich das rächt. Das Neue Testament setzt sehr viele Dinge aus dem Alten Testament voraus. Wenn wir diese vorausgesetzten Dinge aber nicht mehr mitdenken können, weil wir sie gar nicht mehr kennen, dann haben wir auch keine Chance, etwas über Christus oder das Neue Testament zu lernen, weil wir den Hintergrund nicht mehr verstehen. Ein anderer Aspekt ist, dass wir das Alte Testament ja nicht allein haben, sondern es mit dem Judentum teilen. Wenn wir diese Gemeinsamkeit zwischen Judentum und Christentum nicht mehr kennen, dann brechen wir im Grunde genommen dort eine Brücke ab. Katholischerseits ist schon lange nicht mehr gefordert worden, den kanonischen Wert des Alten Testaments aufzugeben. Aber im praktischen Umgang passiert das eben doch, dass wir uns viel zu wenig um das Alte Testament kümmern, dass eben auch häufig die alttestamentliche Lesung im Sonntagsgottesdienst wegfällt oder die Psalmen zu wenig vorkommen. Wir sollten uns tatsächlich auch diesen poetischen Texten wieder neu stellen und ihre ganze wunderbare Größe entdecken. 

Frage: Was glauben Sie, ist der Grund dafür, dass das Alte Testament so vernachlässigt wird? Sind die Texte zu schwierig?

Schnocks: Viele Texte sind nicht so schwierig. Es gibt auch Texte, wo man sagen würde, das ist "Everybody's Darling". Nehmen Sie etwa Psalm 23, den Hirtenpsalm. Der ist an sich nicht so unzugänglich. Das Problem ist eher, dass ein Trugschluss darin besteht, dass ich es in der Kirche immer leichter hätte, wenn ich zum Beispiel in Kindergottesdiensten einfach nur mit einem verkürzten Jesusbild operiere. Da habe ich den lieben Herrn Jesus, das ist so ein guter Mensch, der vor 2.000 Jahren durch Galiläa und andere Teile Israels gelaufen ist – und das war es dann. Das ist aber ein schiefes Bild. Ich glaube, wir machen es uns auch aus Sorge, die Leute zu überfordern oder sie tatsächlich auch mit anspruchsvollen Gedanken unseres Glaubens zu stören, oft zu leicht. Damit geht aber auch ein Stück der Leistungsfähigkeit des Christentums verloren. Denn im Grunde ist dieser Glaube ja unnötig, wenn er die Menschen nur darin unterstützt, dass sie an Feiertagen alles so schön und feierlich erleben, ihnen aber in Krisen nicht tatsächlich weiterhilft. Damit der Glaube das kann, muss ich aber auch auf Texte zurückgreifen können, die vielleicht unbequem sind, in denen ich vor Augen gestellt bekomme, was passiert, wenn Menschen schuldig werden, es ihnen dreckig geht, Dinge über sie hereinbrechen oder sie unter Depressionen zu leiden haben. Manche alttestamentlichen Texte fordern heraus oder müssen vielleicht näher erklärt werden. Aber das Unbekannte ist auch eine Chance.

Von Christoph Brüwer

Kommentare

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(Nutzer gelöscht) 23.03.2021 09:02
Vielen Dank 🙂!
 
(Nutzer gelöscht) 23.03.2021 10:51
Danke - solche Texte helfen wirklich weiter
 
(Nutzer gelöscht) 23.03.2021 11:30
Moin moin @ Klavierspielerin2,

wie verstehen Sie:

" In beiden Teilen der Bibel werden uns vielmehr in hochliterarischen Texten Gotteserfahrungen von Menschen geschildert.
"
 
(Nutzer gelöscht) 23.03.2021 11:40
Ich fand, dass viele Abstrakta wie Liebe, Fürsorge , Abgeben, Sklaverei, Strafe,  ..., erst sinnvoll gefüllt werden können, wenn man sieht, dass "jedeR" in jüdischen Landen durch das ererbte Stück Land , das nach der Landnahme und Stämmen, Großfamilien und dann Kleinfamilien ausgelost worden war und "Gerechtigkeit" dadurch gesichert bzw. gefestigt ist, dass im Jobeljahr die staatlich Grundstruktur, die aus den Auslosungen entstanden war,  wieder hergestellt wurde - zumindest wieder hergestellt werden sollte.

Jesus bleibt da sehr oft viel, viel abstrakter, ist aber eigentlich "als Jude" nur vor diesem Hinterdrund mit vielen seiner Aussagen für mich sinnvoll ' zu verstehen.
 
Klavierspielerin2 23.03.2021 17:15
@ Picus, weshalb Schnock genau die Texte " hochliterarisch" betitelt, kann ich dir nicht sagen.
Erwähnenswert finde ich den Artikel, weil auch ich bisher das AT vernachlässigte( schäm).
 
hansfeuerstein 23.03.2021 18:32
Absoult, AT und NT machen einander erst wirklich verständlich. Besonders auch das Buch Daniel ist es wert, nahegelegt zu werden.

Erstens: Immer spricht in der Geschich­te Gott zu uns und for­dert Ant­wort. Von unse­rer Ant­wort hängt das Geschick oder „Schick­sal“ von ein­zel­nen Indi­vi­du­en, Völ­kern, Kul­tur­krei­sen und der Mensch­heit ab. Mit unse­rer Ant­wort über­neh­men wir Verantwortung.

Zwei­tens: Gott ist „der Getreue“, er bricht kei­nen „Bund“ (Covenant), er lässt „sei­ne Söh­ne“ nicht im Stich. Die Bün­de, die Gott mit Abra­ham, Isaak, Jakob-Isra­el, Noah, Moses und David schloss, sind Vor- und Rei­fe­stu­fen für das Erschei­nen des end­gül­ti­gen Erlö­sers, des Redemp­tor Homi­nis, und sei­nes eucha­ri­sti­schen Bundes.
 
(Nutzer gelöscht) 23.03.2021 20:42
guten Abend Klavierspielerin2, 23.03.2021 um 17:15

Das kann ich sehr gut verstehen.

Bis zum Abitur hatte ich die Bibel auf Deutsch im NT zur Gänze gelesen bekommen, so eine Ausgabe Gideon-Bibel, die buchstäblich in jede Hosentasche passt. Aber das AT blieb mir verschlossen.

Ich hatte die Möglichkeit Hebräisch zu lernen. Das war ein echter Türöffner für das AT. Jetzt kann nicht jeder Hebräisch lernen. Aber eine Einführung in das AT dürfte sich schon i'wie machen lassen?

Die Haupterkenntnis, die ich aus dem AT mitnahm, war, dass viele Abstrakta des NT sehr sehr viel konkreter wurden, wenn man das AT kennt.

Falls Sie an das AT-Lesen in diesen Corona-Tagen kommen:
viel Freude daran & Gottes Segen und Geist dazu.
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