2. Die griechische Tradition

2. Die griechische Tradition
Das Christentum hat eine reiche griechisch-sprachige Tradition. Bereits die neutestamentlichen Schriften sind in dieser Sprache verfasst. Dazu kommen wichtige Werke der Patristik. Repräsentiert wird dies unter anderen durch eindrucksvolle Kirchenbauten wie die Hagia Sophia oder die Grabeskirche.


2.1 Die orthodoxe Kirche und die orthodoxen Kirchen
Die einzelnen orthodoxen Kirchen sehen sich selbst als die eine katholische und apostolische Kirche des Glaubensbekenntnisses, auch wenn die einzelnen orthodoxen Kirchen selbst von eigenen Ersthierarchen geleitet werden. Durch die ununterbrochene Abfolge von Bischöfen von der Zeit der Apostel betrachten sich die orthodoxen Kirchen als in Übereinstimmung mit der Epoche der Kirchenväter, deren Theologie für sie bis heute einen hohen Stellenwert besitzt. In Bezug auf das Alte Testament besitzt in diesen Kirchen dessen meistgenutzte griechische Übersetzung, die Septuaginta, kanonische Geltung – und nicht der heutige masoretische Text der Biblia Hebraica. Die als kanonisch anerkannten orthodoxen Kirchen halten untereinander Sakramenten- und Eucharistiegemeinschaft und feiern in der Regel die byzantinische Liturgie in ihrer Landes- oder liturgischen Sprache. Dazu kommen noch die "autonomen" Kirchen, die zwar ihre inneren Angelegenheiten zumeist selbst regeln, in bestimmten liturgischen Handlungen (wie dem Empfang des Salböls, des Myron) aber immer noch auf die Mutterkirche angewiesen sind, aus der heraus sie sich gebildet haben. Zwischen den einzelnen orthodoxen Kirchen umstritten ist dabei der Status der Ukrainischen orthodoxen Kirche, welche der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel am 6. Januar 2019 als selbstständig anerkannt hat, während der russisch-orthodoxe Patriarch von Moskau, Kyrill (seit 2009), die Ukrainische Kirche als Teil ihres kanonischen Territoriums betrachtet. Weitere orthodoxe Kirchen, deren Status nicht eindeutig geklärt ist, werden als Gruppe der "unkanonischen" Kirchen zusammengefasst



2.2 Die Pluralität orthodoxen Christentums
Im Gegensatz zur lateinischen Kirche, in der das Lateinische bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil als Sprache der Liturgie diente, haben Missionare wie die beiden aus Thessaloniki stammenden Brüder Kyrillos und Methodios vom 9. Jahrhundert an das Christentum vor allem im östlichen Europa in Landessprache verkündet. Das kyrillische Alphabet, das sich aus dem glagolitischen entwickelt hat, oder das Kirchenslawische als Sprache der Liturgie sind Ausdruck dieser Offenheit gegenüber den einzelnen Kulturen. Deshalb stellt die Feier der byzantinischen Liturgie, die in den einzelnen Landessprachen zelebriert wird, ein einigendes Band zwischen den einzelnen orthodoxen Kirchen dar. Griechisch als Liturgiesprache herrscht dabei beispielsweise nur noch im Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel, den altkirchlichen Patriarchaten von Jerusalem und Alexandria sowie in anderen griechisch-sprachigen Regionen vor. Die griechisch-orthodoxe Kirche von Antiochia verwendet heute dagegen das in Syrien vorherrschende Arabische.

Ein weiterer Unterschied unter einzelnen orthodoxen Kirchen besteht darin, dass einige von ihnen – wie etwa die griechisch-orthodoxe Kirche – inzwischen die Kalenderreform, die Papst Gregor XIII. († 1585) im Jahr 1582 initiiert hat, mitgemacht haben, während andere orthodoxe Kirchen –beispielsweise die russische oder die serbische orthodoxe Kirche – am bis dahin üblichen julianischen Kalender festhalten. Dadurch ergibt sich ein Unterschied in der Feier der liturgischen Feste. Weihnachten wird daher in der russischen oder der serbischen-orthodoxen Kirche nach julianischem Kalender erst am 7. Januar 2022 gefeiert, in Griechenland hingegen bereits am 25. Dezember 2021. Da der Termin für das christliche Osterfest unterschiedlich berechnet wird, gibt es Stimmen, die dafür werben, die 1.700-Jahr-Feier des von allen christlichen Kirchen anerkannten Konzils von Nicaea (325), auf dem der Tradition nach die Modalitäten der Berechnung des Ostertermins festgelegt worden sind, im Jahr 2025 dazu zu nutzen, einen gemeinsamen Ostertermin für alle Christinnen und Christen weltweit festzulegen – beispielsweise durch die Bezugnahme auf astronomische Daten nach dem Meridian der Stadt Jerusalem.

2.3 Das Selbstverständnis der orthodoxen Kirchen der byzantinischen Tradition

Was die Kirchenstruktur angeht, so stehen heute an der Spitze der 14 (bzw. 15) kanonischen orthodoxen Kirchen Oberhäupter, die vom jeweiligen Synod, dem Konzil der Bischöfe, gewählt werden und ihre inneren Angelegenheiten selbst regeln. Weil sie ihren Ersthierarchen selbst bestimmen, nennt man sie "autokephal", von griechisch kephalē (Haupt) und autos (selbst). Die Gesamtkirche, die eine, heilige, apostolische und katholische Kirche kann nach orthodoxem Verständnis allerdings nur vom allgemeinen Konzil gemeinsam geleitet werden, weshalb die orthodoxen Kirchen bis heute nur die sieben Konzilien des ersten Jahrtausends als "ökumenisch", d.h. gesamtkirchlich, anerkennen. Eine solche Bestätigung versagen sie den Konzilien des zweiten Jahrtausends, welche die orthodoxe Kirche eher als Teilsynoden der lateinischen Kirche des Abendlands einstuft, obwohl es im lateinischen Westen Bestrebungen gegeben hat, das Konzil von Ferrara-Florenz (1431-1445) als achtes ökumenisches Konzil zu zählen, da an ihm der griechisch-orthodoxe Patriarch von Konstantinopel und weitere Bischöfe des Ostens teilgenommen haben und auf ihm durch die Bulle Laetentur Coeli vom 6. Juli 1439 die Wiederherstellung einer allerdings nur kurzfristigen Kircheneinheit zwischen den Kirchen von Rom und Konstantinopel verkündet worden ist. Seit dem 20. Jahrhundert rufen die ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel panorthodoxe Synoden ein, die in ein erstes neuzeitliches gesamtorthodoxes Konzil einmünden sollen. Zu diesem ist es bisher aber noch nicht gekommen.

2.4 Der Verlust der Gemeinschaft zwischen den Kirchen des Ostens und des Westens 

Der Verlust der Kircheneinheit zwischen den orthodoxen Kirchen der byzantinischen Tradition und dem Apostolischen Stuhl von Rom wird häufig auf das Jahr 1054 datiert. Neue Arbeiten lassen es jedoch als geratener erscheinen, den Verlust der Koinōnia zwischen den Kirchen des Westens und des Ostens als einen längeren Prozess zu verstehen, der mit dem Ausscheiden der anti-chalcedonensischen Kirchen im Orient im 6. Jahrhundert seinen Anfang genommen und über die Etablierung paralleler lateinischer Bischofslinien auf dem Gebiet der altkirchlichen Patriarchate von Antiochia (1100), Jerusalem (1100) und vor allem nach der Eroberung Konstantinopels durch lateinische Kreuzfahrer, Konstantinopel (1204) entscheidende Impulse erfahren hat. Im Jahr 1729 war es schließlich die römische Congregatio de Propaganda Fide, die katholischen Christen die Eucharistiegemeinschaft mit Angehörigen der orthodoxen Kirchen untersagt hat.



2.5 Zum Stand der Ökumene

Während die orthodoxen Kirchen überwiegend dem Papst in Rom die erste Stelle unter den Patriarchen einräumen, hegen sie Vorbehalte gegenüber theologischen Entwicklungen in der westlich-lateinischen Kirche im zweiten Jahrtausend: Zum einen die Einfügung der lateinischen Aussage, dass der Heilige Geist aus dem Vater "und dem Sohn" hervorgehe (qui ex Patre Filioque procedit) in den Text des Glaubensbekenntnisses, die sich in Rom zum ersten Mal im 11. Jahrhundert beobachten lässt. Zum anderen die katholische dogmatische Feststellung der Irrtumsfreiheit des päpstlichen Lehramts, welche in orthodoxen Augen die Lehre von der Kirche, die Ekklesiologie, entscheidend verändert hat. Deshalb äußern orthodoxe Kirchen Zurückhaltung gegenüber der Einladung des Zweiten Vatikanischen Konzils zur Eucharistiegemeinschaft (UR 15,3). Auch wenn durch eine gemeinsame Erklärung von Papst Paul VI. († 1978) und Patriarch Athenagoras I. († 1972) von Konstantinopel die Exkommunikationen des Jahres 1054 aufgehoben worden sind, die ein päpstlicher Legat gegen den damaligen ökumenischen Patriarchen und dessen Synode gegen die Verfasser dieses Schreibens aus dem lateinischen Westen ausgesprochen hat, und der römische Papst im Januar 1964 die lateinischen, nur noch der Titulatur nach bestehenden Patriarchate von Konstantinopel, Antiochia und Alexandria aufgehoben hat, ist bis heute die Eucharistie- und Sakramentengemeinschaft zwischen der katholischen Kirche und den orthodoxen Kirchen der byzantinischen Tradition noch immer nicht erreicht.




VIEL MEHR ALS NUR "KATHOLISCH" UND "EVANGELISCH"
https://www.christ-sucht-christ.de/christliches-forum/Klavierspielerin2/97978/


1. Die lateinische Tradition
https://www.christ-sucht-christ.de/christliches-forum/Klavierspielerin2/97979/

3. Die orientalischen Traditionen
https://www.christ-sucht-christ.de/christliches-forum/Klavierspielerin2/97983/

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