1. Die lateinische Tradition

1. Die lateinische Tradition
Die lateinische Tradition des Christentums repräsentieren heute in erster Linie die katholische Kirche, diejenigen Gemeinschaften und Kirchen, die durch eine Reformbewegung und einen Bruch mit Rom aus der lateinischen Kirche des Westens entsprungen sind, sowie die Altkatholische Kirche.


1.1 Die katholische Kirche
Auch wenn das Christentum im Orient entstanden ist, hat die neue Religion den lateinisch-sprachigen Westen bereits in der Zeit der Apostel erreicht. Wahrscheinlich schon im Jahr 96 wird im ersten Clemensbrief ein Bezug auf Petrus und Paulus spürbar, deren erster "vielerlei Mühseligkeiten erduldet" und für den Glauben "Zeugnis abgelegt" habe, während der letztere "bis an die Grenze des Westens [gekommen sei] und […] vor den Machthabern Zeugnis ab[gelegt habe]". Die historische Entwicklung, dass sich im lateinisch-sprachigen Westen des Römischen Reiches keine andere Ortskirche ebenso auf Apostel als Gründer berufen konnte, wie dies mehreren Kirchen im Osten des Imperiums möglich war, hat, zusammen mit dem Rang Roms als Hauptstadt und (bis in das 4. Jahrhundert alleinigem) Sitz des Kaisers, dazu geführt, dass die römische Kirche rasch eine führende Rolle im Westen eingenommen hat, auch wenn die lateinisch-sprachige Kirche Nordafrikas bis zur Eroberung Karthagos durch die Muslime (697) große und bedeutende Theologen wie Augustinus († 430) hervorgebracht hat. Gerade die Reform der lateinischen Kirche im Hochmittelalter stärkte diese Führungsrolle der römischen Päpste, auf welche – nach dem Ende der gemeinsamen ökumenischen Konzilien mit den östlichen Kirchen (787) – die Generalsynoden der lateinischen Kirche hinliefen, die nach katholischem Verständnis ebenso als ökumenische Konzilien gezählt werden, wie diejenigen des ersten Jahrtausends. Besonders die Konzile in Trient (1545-1563) und die beiden Bischofsversammlungen im Vatikan (1869-1870 und 1962-1965) haben Gestalt und Leben derjenigen Kirchen geprägt, welche die Gemeinschaft mit dem Apostolischen Stuhl von Rom aufrechterhalten haben.

Dabei wurde bereits auf dem vierten Konzil im Lateran (1215) spürbar, dass "katholisch" zu jener Zeit bereits mehr war als nur "lateinisch"; denn mit Jeremias II. († 1230) hat an der Synode das Oberhaupt der maronitischen Kirche aus dem heutigen Libanon teilgenommen, welche aus der westsyrischen Tradition hervorgegangen ist und am Ende des 12. Jh auf Grund von Kontakten mit lateinischen Kreuzfahrern die Einheit mit dem Apostolischen Stuhl von Rom bekräftigt hat. Im Laufe des zweiten Jahrtausends sind zu dieser Kirche weitere Teilkirchen aus östlichen Traditionen getreten, die eine Kirchenunion mit der Sedes Apostolica eingegangen sind, etwa die griechisch-katholische Kirche in Osteuropa, die Chaldäisch-Katholische Kirche im Irak oder die indischen Syro-Malabarische und Syro-Malankara katholischen Kirchen. Die jüngste dieser katholischen Ostkirchen ist die eritreisch-katholische Kirche, welche Papst Franziskus vor sechs Jahren, im Jahr 2015, offiziell errichtet hat. Heute stellen diese katholischen Ostkirchen als ecclesiae sui iuris wichtige Gliedkirchen der katholischen Kirche dar. Sie erkennen den römischen Papst als Oberhaupt an, haben ihr eigenes Kirchenrecht, den Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium (CCEO), und feiern die Liturgie zumeist in der Tradition und Sprache, aus der sie ursprünglich hervorgegangen sind. Deshalb kommt es vor, dass katholische Priester aus diesen Kirchen verheiratet sein können, weil sich ihnen bis zu ihrer Priesterweihe die Option eröffnet, entweder zölibatär zu leben oder eine Familie zu gründen. Die in Wien beheimatete katholische Stiftung Pro Oriente gibt auf ihrer Internetpräsenz die Anzahl der Gläubigen in den katholischen Ostkirchen heute mit über 16 Millionen an.

1.2 Die reformatorischen Gemeinschaften und Kirchen

Während die katholische Kirche, die orthodoxen Kirchen der byzantinischen Tradition sowie die altorientalischen Kirchen die apostolische Sukzession über die ununterbrochene Abfolge von geweihten Bischöfen definieren, schlagen die Gemeinschaften und Kirchen, die einer Reformbewegung der lateinischen Kirche des Westens in Mittelalter und Neuzeit entstammen, unterschiedliche Wege ein:

1.2.1 Die Anglikanische Gemeinschaft
Die weltweite Anglikanische Gemeinschaft bewahrt beispielsweise das historisch gewachsene Bischofsamt. Deswegen befinden sich die Bischofssitze der Diözesen der Church of England – wie zum Beispiel der Sitz des Primas in Canterbury – in der Regel noch heute an denjenigen Orten, an denen in England seit der Antike Bischofsitze etabliert worden sind; insbesondere seit durch den Act of Supremacy des englischen Parlamentes vom 3. November 1534 die englische Königin bzw. der englische König zum Oberhaupt der Church of England bestellt worden ist – womit sich die Kirche des Landes aus der Gemeinschaft mit dem Apostolischen Stuhl von Rom losgelöst hat. Als im Jahr 1850 durch Papst Pius IX. († 1878) in England eine katholische diözesane Struktur wiederrichtet werden konnte, sollten daher katholische Bischofssitze nicht an diesen Stätten eingerichtet werden, sondern an anderen Orten. Wo es deshalb derzeit katholische wie anglikanische Bischöfe mit gleichem Sitz gibt, wie z.B. in Liverpool, Birmingham oder Portsmouth, sind diese anglikanischen erst nach den katholischen Bistümern gebildet worden. Oberster Repräsentant der katholischen Kirche in England und Vorsitzender der Bischofskonferenz von England und Wales ist heute der Erzbischof von Westminster.

Die Anglikanische Gemeinschaft mit ihren Mitgliedskirchen betrachtet sich selbst als Teil der einen allumfassenden christlichen Kirche. Angehören können ihrer Communion alle diejenigen Kirchen, welche die vier Kriterien erfüllen, die die Lambeth Conference von 1888 aufgestellt hat. Aus diesem Grund lassen sich heute ganz unterschiedliche anglikanische Teilkirchen differenzieren, von denen einige beispielsweise die Frauenordination ablehnen, während sie andere befürworten. Ebenso ist die Liturgie manchmal eher festlich, an anderes Mal dagegen schlichter gehalten.

Ökumenische Gespräche mit dem Apostolischen Stuhl von Rom wurden 1966 aufgenommen. Im Zusammenhang mit den Jubiläumsfeierlichkeiten des Auftakts dieses ökumenischen Austausches wurde der Repräsentant der anglikanischen Gemeinschaft beim Vatikan, Erzbischof David Moxon, im März 2017 dazu eingeladen, eine anglikanische Vesper im Petersdom abhalten; und Papst Franziskus als erster Bischof von Rom die anglikanische Kirche of All Saints in der Stadt am Tiber besucht.

1.2.2 Die Altkatholische Kirche
Wie die anglikanische Gemeinschaft, hält auch die Altkatholische Kirche am Bischofsamt fest. Sie sieht die apostolische Sukzession in sich bewahrt, weil sie sich auf die Kirche von Utrecht bezieht, deren Kapitel im Jahr 1724 daran festhielt, den neuen Bischof wählen zu dürfen, und deshalb aus der Gemeinschaft mit dem Apostolischen Stuhl von Rom ausgeschieden ist.

Die Bezeichnung "altkatholisch" rührt daher, dass die einzelnen Mitgliedskirchen der Utrechter Union, zu der sich im Jahr 1889 verschiedene altkatholische Kirchen zusammengeschlossen haben, für sich in Anspruch nehmen, "alte" katholische Traditionen losgelöst vom Apostolischen Stuhl in Rom zu bewahren. Dies gilt insbesondere für die Ablehnung der dogmatischen Entscheidungen zur Irrtumsfreiheit des päpstlichen Lehramts in der Dogmatischen Konstitution Pastor aeternus vom 18. Juli 1870, die als eine Neuerung von der alten katholischen Überlieferung verstanden worden ist. Da in der Folge des Konzils Theologen und Gläubige aus der katholischen Kirche ausgeschlossen worden oder aus dieser ausgetreten sind, die sich weigerten, die Konzilsbeschlüsse anzuerkennen – wie z.B. der in Bamberg geborene Münchner Theologieprofessor Ignaz von Döllinger († 1890) –, sammelten sich die Gegner dieser dogmatischen Festlegung in einer eigenen Gemeinschaft. Im Jahr 1873 wurde Josef-Hubert Reinkens († 1896), wie Döllinger katholischer Priester und Professor an der katholisch-theologischen Fakultät in Breslau, nach seiner Exkommunikation im Jahr 1872 durch den altkatholischen Bischof von Deventer zum ersten altkatholischen Bischof in Deutschland gewählt. Im Jahr 1931 haben die Church of England – sowie später die ganze Anglikanische Gemeinschaft – und die Altkatholische Kirche die Kirchengemeinschaft erklärt. Seit 1985 gibt es eine Vereinbarung zur gegenseitigen Einladung zum Abendmahl zwischen der Altkatholischen Kirche und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Deutschland. Mit der katholischen Kirche besteht seit dem Jahr 2004 eine Dialogkommission. Im Oktober 2014 empfing Papst Franziskus erstmals die internationale altkatholische Bischofskonferenz im Vatikan. Zu seiner Amtseinführung im Jahr zuvor war der altkatholische Bischof Joris Vercammen (geb. 1952) von Utrecht als Gast eingeladen.

1.2.3 Die reformatorischen Gemeinschaften
Ein anderes Verständnis von der apostolischen Sukzession prägt die, im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils, kirchlichen Gemeinschaften, die sich im Zuge der Reformation des 16. Jahrhunderts aus der lateinischen Kirche des Westens entwickelt haben.  In der Regel leiten sie die Übereinstimmung mit den Aposteln nicht vom personalen Bischofsamt und dessen Sukzession her, sondern von der inhaltlichen Anknüpfung an diese, welche diese Christen insbesondere in der Heiligen Schrift ausgedrückt sehen. Wegen dieser starken Akzentuierung des Evangeliums nennen sie sich selbst "evangelische Kirchen"; oder, wegen ihres Anspruches, Fehlentwicklungen der mittelalterlich-lateinischen Kirche zu "reformieren", "reformierte Kirchen". Im englischsprachigen Raum haben sich aus "reformierten" Ideen etwa auch die baptistischen oder methodistischen Gemeinschaften entwickelt. Da, wo sich Gemeinden "lutherischen" und "reformierten" Bekenntnisses miteinander vereinigt haben, spricht man hingegen von "unierten Kirchen". Um diese unterschiedlichen Typen von christlichen Gemeinschaften unter einem Oberbegriff zusammenzufassen, werden sie im ökumenischen Gespräch entweder als "reformatorische Kirchen" angesprochen, um sie von den "reformierten Kirchen" zu unterscheiden, oder als "protestantische Kirchen" weil evangelischen Stände auf dem Reichstag von Speyer (1529) gegen die Verhängung der Reichsacht gegen Martin Luther († 1546) formaljuristisch "protestiert haben", weswegen sich für sie diese politische Bezeichnung entwickelt hat.

Historisch haben sich diese Gemeinschaften, die hier aus Platzgründen nur exemplarisch dargestellt werden können, durch Bestrebungen zur Reform der mittelalterlich-lateinischen Kirche durch Marin Luther († 1546) und später Philipp Melanchthon († 1560) in Wittenberg, Huldrych Zwingli († 1531) in Zürich und Johannes Calvin († 1564) in Genf entwickelt. In der Forschung herrscht dabei heute die Mehrheitsmeinung vor, dass diese Reformatoren in erster Linie danach strebten, die eine Kirche zu "reformieren", sie aber nicht zu spalten – und zwar nach den Prinzipien "alleine Christus" (solus Christus), "alleine die Schrift" (sola scriptura), "alleine der Glaube" (sola fide) und "alleine die Gnade" (sola gratia). Die Heilige Schrift sollte in Landessprache verkündet und ausgelegt, Priester und Bischöfe aus der Gemeinde gewählt und das liturgische Leben der Kirche neugestaltet werden. Die katholische Kirche reagierte auf diese Herausforderung zunächst mit Religionsgesprächen (z.B. 1518 in Augsburg zwischen Martin Luther und dem römischen Kardinallegaten Thomas Cajetan († 1534), am 15. Juni 1520 jedoch mit der Exkommunikation Martin Luthers aus der katholischen Kirche durch die päpstliche Bulle Exsurge Domine, sowie schließlich durch die Reform der in der Gemeinschaft mit dem Apostolischen Stuhl verbliebenen lateinischen Kirche auf dem Konzil von Trient (1545-1563). Auf dem Reichstag von Augsburg (1530) formulierten die evangelischen Reichsstände ihr Bekenntnis in der Confessio Augustana, die zehn Jahre später auch von den reformierten Gemeinschaften anerkannt wurde.

In Deutschland sind die einzelnen evangelischen Landeskirchen, wie z.B. die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern, die Evangelische Landeskirche in Baden oder die Evangelisch-Lutherische Kirche Hannovers, heute zum überwiegenden Teil in der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche in Deutschland (VELKD) sowie in der Evangelischen Kirche Deutschlands zusammengeschlossen, einem Bund von lutherischen, reformierten und unierten Kirchen, weltweit über diese hinaus im "Lutherischen Weltbund"; die aus der schweizerischen Reformation entstandenen Gemeinschaften hingegen im "Reformierten Bund" und der World Communion of Reformed Churches (WCRC), zu dem sich heute nach eigenen Angaben rund 100 Millionen Christinnen und Christen aus reformierten, presbyterianischen oder unierten Kirchen bekennen.

Lehrunterschiede zur katholischen Kirche bestehen beispielsweise in Bezug auf das Kirchen- und Amtsverständnis, das Verhältnis von Schrift und Tradition oder hinsichtlich dem Verständnis von der Eucharistie. Einen wichtigen Meilenstein der Ökumene hat dabei die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre vom 31. Oktober 1999 dargestellt, in der wichtige Lehrunterschiede des 16. Jahrhunderts zu der Frage, wie der Mensch gerettet, also vor Gott "gerechtfertigt" werden könne, konsensual zusammengeführt worden sind. 

1.2.4 Die Neuapostolische Erweckungsbewegung
Ein dritter Typus von christlichen Gemeinschaften sieht die apostolische Sukzession weder personal noch inhaltlich bestimmt, sondern erkennt heute lebende Personen als Apostel dieser Zeit an, in denen der Geist Gottes direkt wirkt. Ein Beispiel für diese Gemeinschaften stellt die "Neuapostolische Kirche" dar, für die John Bate Cardale († 1877) der erste Apostel der Neuzeit war. Nach eigenen Angaben bekennen sich zu ihr mehr als 9 Millionen Gläubigen. Sie wird auch heute noch strukturell von "Aposteln" geführt, hat ihren Sitz in der Schweiz und lebt von den Spenden ihrer Gläubigen. Ihr geistliches Leben ist von dem Ziel geprägt, sich auf die Wiederkehr Christi vorzubereiten. In Deutschland ist die Neuapostolische Kirche seit dem Jahr 2019 Gastmitglied in der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen.


VIEL MEHR ALS NUR "KATHOLISCH" UND "EVANGELISCH"
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2. Die griechische Tradition
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