Kreuze am Wegesrand

Kreuze am Wegesrand
IN KATHOLISCH GEPRÄGTEN GEGENDEN SIND SIE HÄUFIG ANZUTREFFEN

BONN ‐ Sie stehen für Dankbarkeit, Unglück oder sogar Verbrechen: Flur- und Wegekreuze, Bildstöcke und Heiligenhäuschen. Wir erklären, welchen Hintergrund sie haben - und warum sie auch heute noch wichtig sind.


Menschen, die in katholisch geprägten Regionen, wie im Münsterland oder in den Alpen leben, können ad hoc fünf bis zehn christliche Symbole im Straßenbild ihres Ortes aufzählen. Theoretisch. Praktisch fallen Flur- und Wegekreuze, Bildstöcke und Heiligenhäuschen gerne der selektiven Wahrnehmung zum Opfer. Sie verschmelzen quasi mit dem Hintergrund. Zu Unrecht, haben die Stifter sie doch einst aus gutem Grund errichten lassen. Oftmals investieren ihre Enkel oder die Gemeinden heute noch einiges, um die Gedenkstätten zu erhalten.

Wie viele dieser Kleinode tatsächlich dem Blick entgehen, zeigt eine Karte der schwäbischen Gemarkung Zwiefalten. Der pensionierte Pfarrer Erwin Binder hat sämtliche religiöse Mahnmale der Gegend aufgezeichnet und kam zu folgendem Ergebnis: 94 Kapellen, Wegekreuze, Lourdesgrotten und Bildstöcke verteilen sich hier in einem Gebiet von etwa zehn mal zehn Kilometern. Sie alle zeugen von persönlichen Schicksalen ebenso, wie vom Glauben und der Frömmigkeit vergangener Generationen. Denn nicht die Kirche, sondern Privatpersonen initiieren in der Regel die Kleindenkmäler.

Die Aufzeichnungen von Pfarrer Binder zeigen nicht nur, wie viele Gedenkstätten es im Schwabenland und anderen katholischen Regionen gibt, sondern bilden auch ihre Vielfalt ab. Karl-Friedrich Amendt, Autor des Buches "Rheinische Wegkreuze - geheimnisvolle Zeugen mittelalterlichen Denkens", unterscheidet Gedenkkreuze zur Erinnerung an Menschen, die durch einen Unfall, ein Unwetter oder ein Verbrechen zu Tode gekommen sind, von Votivkreuzen, die Stifter zum Dank aufstellen. Etwa, wenn sie selbst oder ein Angehöriger aus einer lebensbedrohlichen Situation gerettet wurden.

Mord- und Sühnekreuze stehen an Tatorten

Bekannt sind auch Sühnekreuze, wie etwa das Glockenkreuz im rheinischen Erpel. Der Sage nach erinnert es an einen Lehrjungen, der sich in Abwesenheit seines Meisters erlaubte, eine Glocke selbst zu gießen. Da ihm dies hervorragend gelang, erstach ihn sein Meister aus Eifersucht. Solche Mord- oder Sühnekreuze wurden ab 1300 an Tatorten aufgestellt und waren Teil der Wiedergutmachung des Täters. Ein Sühnevertrag aus dem Jahr 1463 zeigt auf, dass damals für die Ermordung eines Sohnes ein Steinkreuz, 45 Gulden als Spesen und Schadensersatz, eine Heilige Messe mit zwei Priestern, zehn Pfund Wachs für Kerzen, je ein Paar Hosen an die Schiedsleute und zwei Eimer Wein fällig wurden.

Die Sage des Erpeler Glockenkreuzes muss man kennen, denn im Mahnmal selbst sind nur eine Glocke und ein Datum eingemeißelt. Nur selten erzählen Inschriften die Geschichte hinter der Gedenkstätte. Es sei denn, man ist im Alpenraum unterwegs und trifft auf eines der vielen Marterl - religiöse Bildstöcke, die - nicht immer pietätvoll - Auskunft geben. Die Originalität so mancher Inschrift inspirierte den österreichischen Autor Martin Reiter im Jahr 2007 zu einer humoristischen Sammlung unter dem sprechenden Titel "Ein Rutsch, dann war er futsch". Darin poetische Schätze, wie "Erst sang ich, dass es hallte weit: 'Zillertal, du bist mei Freud!' Dann tat ich einen Stolperer und fiel herab vom Olperer. Nun sing ich in der Englein Chor, Bahnbeamter Felix Mohr."

Was hier so manchen Wanderer zum Schmunzeln bringt, war für die Angehörigen oft ein Ort der Trauer und des Gebets. An Gedenkkreuzen, Kapellen und Bildstöcken gedachten sie der Menschen, die ihnen in einem unglücklichen Moment genommen wurden und beteten für sie. Immer wieder sind Gedenkkreuze daher mit religiösen Sinnsprüchen verziert, wie "Verzage nicht, wenn schwer und trübe oft über Dir der Himmel hängt. Gott ist und bleibt der Gott der Liebe, der alles Dir zum Besten lenkt."

Vandalismus und Witterung machen den Kreuzen zu schaffen

"An jedem Bildstock hängen Lebensgeschichten", sagt der emeritierte Dompropst Josef Alfers aus dem Bistum Münster im Rahmen der Serie "Mein Denkmal und ich". Hier beschreiben Menschen, was sie mit den religiösen Orten im Straßenbild verbinden. Für viele haben sie eine besondere Bedeutung. Umso trauriger, wenn sie sinnlos zerstört werden. Zertretene Straßenkreuze in Heiligenstadt und Petersdorf, eine zerschmetterte Jesusfigur in Werne, umgerissene Kreuze im Sauerland. Immer wieder berichten die Nachrichten von Vandalismus.

Aber auch die Witterung lässt Kreuze bröckeln und Inschriften verblassen. Und so finden sich mancherorts Initiativen zusammen, die sich der Kleindenkmäler annehmen, Geld für ihre Restaurierung sammeln oder selbst Hand anlegen. Etwa die Kreuzretter im badischen Wehr, die sich seit zwanzig Jahren um Flurkreuze bemühen und bei irreparablen Schäden mittlerweile auch mal selbst ein neues Kreuz gießen. Unterdessen sucht man im Winzerort Jechtingen bei Freiburg nach Paten für verwaiste Steinkreuze, die nicht mehr gepflegt werden. Denn rein rechtlich ist niemand für den Erhalt der Gedenkstätten zuständig.



Anders ist das bei Mahnmalen der Neuzeit, die heute vor allem an kurvigen Landstraßen, unübersichtlichen Kreuzungen und langen Alleen zu finden sind. Meist schlichte Holzkreuze, mit Vornamen versehen, Deko-Objekte, Blumen und Kerzen, hin und wieder auch ein Foto. Sie erzählen Geschichten von oft jungen Menschen, die Opfer eines Verkehrsunfalls wurden und werden meist mit Hingabe in Stand gehalten. Auf Internetportalen wie NureinAugenblick.de oder Strassenkreuz.de schreiben sich die Hinterbliebenen ihren Schmerz von der Seele. Auch Ersthelfer melden sich hier zu Wort.

Bernd Kersken, Referent der Notfallseelsorge im Bistum Münster, sieht das Gedenken am Straßenrand differenziert. "Einerseits halte ich es für gut und richtig, Stellen, an denen ein Unglück geschehen ist, auch als Ort der Trauer zu kennzeichnen - zumindest für eine Weile." Häufig würden Straßenkreuze jedoch jahrelang aufgesucht und gepflegt und das halte er für bedenklich: "Für mich deutet es darauf hin, dass die Angehörigen ihre Trauer noch nicht bewältigt haben." In solchen Fällen stehe das Mahnmal am Straßenrand einer Heilung und einer Rückkehr in den 'Alltag' im Wege.

Kleines Glossar der Wegekreuze 

Bildstock/Marterl

Ein sogenannter Bildstock ist ein religiöses Kleindenkmal aus Holz, Stein oder Mauerwerk und vor allem in den Alpenländern ein Zeichen der Volksfrömmigkeit. Sie sollen den Wanderer zum Gebet motivieren und Erinnern an besondere Unglücksfälle.

Gedenkkreuz

Diese Kreuze werden von Hinterbliebenen zum Gedenken an Ereignisse oder Menschen errichtet, die bei einem Unfall oder durch ein Verbrechen ums Leben kamen. Es ist der einzige Brauch der heute noch in ganz Deutschland gepflegt wird. Ältere Gedenkkreuze erinnern an Kriegsgefallene.

Flurkreuze/Wegekreuze

Diese Kreuze dienen als Wegmarken für Wanderer und Pilger. Sie weisen auf gefährliche Stellen hin und laden ein, innezuhalten und ein Gebet zu sprechen.

Heiligenhäuschen

Diese kleinen Kapellen beherbergen Heiligenfiguren oder -
bilder, die durch Fenstergitter geschützt sind. Sie wurden ab dem 13. Jahrhundert zur Verehrung des dargestellten Heiligen, zum Dank nach überstandenen Gefahren, als der Erinnerung an schlimme Ereignisse oder als Erfüllung von Gelübden erbaut.

Lourdesgrotte

Die Mariengrotten erinnern an die Grotte von Lourdes und sind heute oft Ziel lokaler Wallfahrten. Sie entstanden meist in Verbindung mit einer Lourdes-Wallfahrt und der Genesung von einer Krankheit oder wurden zum Dank nach überstanden Kriegen und Gefahren aufgestellt.

Sühnekreuz

Das Sühnekreuz oder Mordkreuz aus Gra­nit-, Sandstein- oder Basalt gehört zu den ältesten Flurdenkmälern. Sie wurden zwischen dem 13. und 16. Jahr­hun­dert nach der damaligen Rechtsprechung von Tätern und deren Familien als Widergutmachung gesetzt.

Totenbretter

Früher wurden Verstorbene bis zum Begräbnis auf Totenbrettern aufgebahrt. Vor allem im süddeutschen Raum stellten Angehörige diese zur Erinnerung an Wegesrändern auf. Heute finden sich Totenbretter noch im Bayerischen Wald und im Oberpfälzer Wald. Anfangs wurde das Holz nur mit drei Kreuzen versehen, später mit Inschriften zum Lob des Verstorbenen. Im 19. Jahrhundert entstanden Totenbretter mit Malereien und Schnitzereien.

Votivkreuz

Die Stifter errichteten diese Kreuze aus Dankbarkeit oder wegen eines Gelübdes nach der Errettung aus einer Notlage wie Krieg, Krankheit, Seuche oder Lebensgefahr.

Wetter- oder Hagelkreuze

Diese Kreuze wurden als Schutz vor Wetterkatastrophen oder nach schweren Unwettern aufgestellt.

Von J. Mogendorf

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