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Die Begegnung mit dem „Du“

Die Begegnung mit dem „Du“
Die Begegnung mit dem „Du“

Wer bin ich eigentlich? Das ist die Frage, die den Prozeß der Selbstfindung unermüdlich in Gang hält. Selbstbejahung, Selbstannahme, ja, auch Liebe zu sich selbst ist erst dort möglich, wo ich mich selbst gefunden habe, wo mein Selbst nicht mehr der unbekannte, fremde Partner in mir ist, dem ich ausgeliefert bin, der mich manchmal in meinen Träumen ängstigt und sich doch mir versöhnen will. In der Begegnung mit mir selbst werde ich entdecken, daß ich mehr, daß ich weniger, daß ich anders bin, als ich dachte. Ziel der Selbstfindung ist es, sagen zu können: Ich bin der, der ich bin. Danach erst werde ich in der Lage sein, zu überlegen, wie ich sein möchte und wie ich werden will.

Heilung durch Begegnung geschieht in der Beziehung zum Du. Wer sich selbst nicht kennt, wird im Du immer wieder Teilen von sich selbst begegnen – seinen Schatten. Die Splitter im Auge des Gegenüber sind aus dem gleichen Holz wie die Balken im eigenen Auge. In der Liebesbeziehung suchen wir unbewußt die Ergänzung im Gegenüber, „unsere bessere Hälfte“. Solange das geschieht, sind wir aber noch nicht fähig zu einer wirklichen Begegnung mit dem Du.

Durch das Du erfahre ich nicht nur meine Grenzen und Schatten, sondern auch Bestätigung und Rückmeldung meiner Wirkung. Das Du erlöst mich aus der Einsamkeit und dem Ausgeliefertsein an mich selbst.

Nicht jede Beziehung zu einem anderen Menschen wird zu einer heilenden Begegnung. Solange ich den anderen noch mit meinen Vorurteilen, mit meinen Hoffnungen, die er erfüllen soll – mit Wünschen, die er befriedigen muß – betrachte, werde ich ihn immer nur als Teil von mir selbst sehen und nicht als wirkliches Gegenüber.
Diese unreifen Beziehungen zeigen sich in Vorwürfen, in Resignation; sie erzeugen Mißtrauen und Skepsis.

Voraussetzung für eine heilende Begegnung ist die Anerkennung der Originalität des andern, dem ich begegne. Ich sage im stillen zu ihm: „Ich kenne dich nicht, aber ich will dich kennenlernen. Ich verstehe dich nicht, aber ich möchte dich verstehen.“ Jede echte Begegnung erfordert Ehrfurcht – Ehrfurcht vor dem unbekannten anderen und seinem Ganz-anders-Sein, Ehrfurcht von seiner Originalität.

Besonders schwer sind solche Begegnungen in Beziehungen, die in Abhängigkeit bestehen. In vielen Ehen ist das so, aber auch in Familien zwischen Eltern und Kindern und in vielen anderen Beziehungsfeldern in unserem Leben. Das Beziehungsfeld Ich und Du wird zu einer heilsamen Beziehung, wenn das „und“ zwischen dem Ich und dem Du als etwas Verbindendes und zugleich Trennendes gesehen werden kann. Ich und Du – das ist nicht eine Verschmelzung zweier Personen zu einer Einheit. Das „und“ (+) ist ein Zeichen des Kreuzes. Es trennt uns voneinander und verbindet uns gleichzeitig als Zeichen der Vergebung. Auch eine Liebesbeziehung ist auf die Dauer gesehen nur heilsam, wenn sie nicht zu einer Verschmelzung im Sinne einer totalen Angleichung führt, sondern wenn beide Partner sich als selbständige Persönlichkeiten ernst nehmen. Sätze wie „Ich kenne dich doch“ oder „Ich weiß schon, was du willst“ oder „Du bist immer so und so...“ sind Zeichen dafür, daß die Beziehung noch unreif ist. Je mehr ich mich selbst erkannt habe als unendliches und noch unerforschtes Wesen, desto leichter kann ich glauben, daß auch der andere, das Du, ein ebensolches mir unbekannte Wesen ist.
Wie werde ich dieses Wesen kennen können, wenn ich mich selbst noch nicht kenne?


(Wilhard Becker, „Wandlungen“, 1987)

Kommentare

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Zeitzeuge 24.07.2022 09:34
"Wir haben die Unreife zum Leitbild erklärt.“ - Alexander Kissler im Gespräch mit Gunnar Kaiser.
(These: „Die Sucht der niedrigschwelligen Angebote“)
 
Zeitzeuge 24.07.2022 09:41
Aus Liebe zum Denken und Philosophieren:

Fortschritt und Ordnung . Teil 3 . Der Autist und sein Ordnungsdrang- Thomas Wangenheim
 
(Nutzer gelöscht) 24.07.2022 09:42
Wie wahr, Zeitzeuge.....

Es ist ein langer Weg, das zu begreifen , und mit vielen Rückschlägen verbunden.

Und.........es ist das Abenteuer "Ich".
 
(Nutzer gelöscht) 24.07.2022 09:46
Die Frage, die ich mir immer wieder stelle ist: Wer bin ich in Jesus/Gott? Und bitte IHN mir zu zeigen wie ER mich sieht und auch wie ER den anderen Menschen sieht mit dem ich in Beziehung trete. Ich denke, das ist hilfreich um nicht in vorgefertigte Sichtweisen oder Interpretationen aufgrund von Erfahrungen zu fallen wie oben beschrieben. Ich möchte lernen, mich und den anderen mit den Augen Jesu zu sehen. 
 
(Nutzer gelöscht) 24.07.2022 10:28
wie btw sagt, ist es ein gewaltiger Unterschied, ob ich mein Gegenüber als einen wertvollen Gedanken Gottes betrachte oder eben nicht ! Und wenn Jemand um seinen eigenen Wert in Jesus weiß, kann er diese Wertschätzung als ein Geschöpf Gottes dem Anderen entgegen-bringen.

Im Umgang mit Menschen/dem Partner ist es wichtig zuzuhören/erzählen lassen/ggf. Fragen stellen und darin zu re-spektieren = zurück-schauen was das Gegenüber ausmacht: seine prägende Biographie (Kindheit usw.). Nur dann kann ich mein Gegenüber in seinem Verhalten und seiner Handlungsweise besser verstehen und mich "einfühlen". Natürlich kann ich das nicht immer mit jedem Menschen machen der mir über den Weg läuft, aber ich kann diese RE-Spektvolle Haltung an den Tag legen auch wenn ich oft nicht viel über den Anderen weiß d.h. ich weiß einfach Mal grundsätzlich: dieser Mensch wurde durch Vieles geprägt und berücksichtige dies. Keiner kann über seinen Schatten springen und wurde geprägt d.h. für diese grundsätzliche Entwicklungswahrheit bringe ich erst Mal Verständnis auf. Das bedeutet für mich den Anderen zu "lieben".
 
(Nutzer gelöscht) 24.07.2022 11:12
Genau das wird doch aber auch in der Abhandlung von Wilhard Becker gesagt.

Voraussetzung für eine heilende Begegnung ist die Anerkennung der Originalität des andern, dem ich begegne. Ich sage im stillen zu ihm: „Ich kenne dich nicht, aber ich will dich kennenlernen. Ich verstehe dich nicht, aber ich möchte dich verstehen.“ Jede echte Begegnung erfordert Ehrfurcht – Ehrfurcht vor dem unbekannten anderen und seinem Ganz-anders-Sein, Ehrfurcht von seiner Originalität. 

Dazu gehört es meines Erachtens auch, dass ich mich verstehe mit allen meinen Seiten, auch Schattenseiten sonst kann ich ganz schnell dem anderen meine Vorstellungen aufdrücken.  So hat er zu sein.
Du sagst es , Jesuslive, ohne Respekt vor sem Anderen und Akzeptanz des Anderssein ist eine reife Begegnung nicht möglich.
 
Zeitzeuge 24.07.2022 13:18
Die therapeutische Sicht, die Becker hier in den Mittelpunkt stellt, ist aber für mich nur ein Gerüst, weitgehend auf menschliche Erfahrungswerte aufgebaut. Dabei ist aber die hier zu kurz gekommene übergeordnete göttliche Sicht, der Glaube mit Heilung und Heiligung der Persönlichkeit, die nur Jesus Christus als Erlöser in mir vollbringen kann und will die Entscheidende.
 
(Nutzer gelöscht) 24.07.2022 13:35
Ich erlebe in der Begegnung mit anderen immer wieder meine persönlichen Schattenseiten. Ohne die Begegnung und Beziehung mit anderen wüsste ich nichts davon. Hielte ich  mich für unantastbar und unverletzbar. Ich wünschte, ich wäre unverletzbar, weil ich keinen Schmerz erleben möchte. Ein Therapeut sagte mir daraufhin: Ohne Schmerz keine Heilung. Gott lässt den Schmerz zu. Aber ER lindert und heilt ihn aus. Sich dem eigenen Schmerz zu stellen, ihn nicht zu vermeiden oder zu verdrängen, führt letztendlich mit Gottes Hilfe zu Heilung und neuer Stärke. 
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