Lukas 16, 19-31 viel zitiert und oft falsch verstanden

Lukas 16, 19-31 viel zitiert und oft falsch verstanden
Lk 16,19-31 – Jesus greift hier eine damals bekannte Geschichte aus Ägypten auf und gibt ihr eine unerwartete Wendung. Ein Gleichnis soll jedoch nur eine Wahrheit verdeutlichen. Es darf nicht allegorisch, also Aussage für Aussage übertragen werden. Das würde bei vielen Gleichnissen zu seltsamen Interpretationen führen (z. B.: Sitzen alle Gläubige wirklich in Abrahams Schoß?). Meistens steht die Bedeutung des Gleichnisses am Ende, hier in V. 31: Wer nicht auf Mose und die Propheten hört, hört auch nicht auf jemanden, der von den Toten aufersteht. Wer also den Schreibern des Alten Testamentes nicht glaubt, dass der Mensch bis zur Auferstehung am Ende der Tage schläft und weder denken, fühlen noch wollen kann, lässt sich auch nicht überzeugen, wenn König David auferstehen würde, um ihm zu sagen, dass er noch nicht in den Himmel aufgenommen worden ist, sondern immer noch im Grab ruht (Apg 2,29.34). Jesus hat diese Geschichte ganz bewusst gewählt, weil er wusste, dass er seinen Freund „Lazarus“ schon bald von den Toten auferwecken würde. Tatsächlich führte dieses unvorstellbare Ereignis nicht zum Umdenken bei den religiösen und politischen Führern. Im Gegenteil, sie wollten auch Lazarus töten. Sie hörten also weder auf die Weissagungen über den Messias im Alten Testament noch auf den von den Toten auferstanden Lazarus.



Der Ausdruck „in Abrahams Schoß“ (kolpos) bedeutet übrigens im damaligen Sprachgebrauch „an Abrahams Seite, auf dem Ehrenplatz neben Abraham“ (W. Haubeck, H. Siebenthal, Neuer Sprachlicher Schlüssel zum Griechischen Neuen Testament, Brunnen Verlag, Gießen-Basel 1997, Bd. 1, S. 463). Dass der Reiche in der Qual des Gerichtsfeuer Lazarus an der Seite Abrahams sehen kann, ist in einem Gleichnis als Lehrerzählung möglich und wird in der rabbinischen Literatur in Bezug auf Erlöste und Verdammte auch oft so geschildert (H. L. Strack / P. Billerbeck, Kommentar zum Neuen Testament, Erläutert aus Talmud und Midrasch, C. H. Beck‘sche Verlagsbuchhandlung 1926, 4. Aufl. Bd. 2, S. 228).



Die Juden zur Zeit Jesu jedoch glaubten nicht an eine unsterbliche Seele. Dass die Seelen der Gerechten von den Engeln unmittelbar nach dem Tod ins Jenseits begleitet werden, vertritt z. B. erst Rabbi Meir um 150 n. Chr. (Strack / Billerbeck, Bd. 2, S. 223). Wollte Christus nun wirklich mit diesem Gleichnis die Unsterblichkeit der Seele begründen, und wäre sie tatsächlich eine zentrale Lehre des Christentums, dann ist es unverständlich, dass die Apostel in ihren Schriften nicht auf dieses Gleichnis Bezug nehmen. Außerdem hätte Jesus sich selbst widersprochen, weil er oft gesagt hat, dass die Verstorbenen erst am Ende der Welt aus den Gräbern gerufen werden und zu ihm kommen. Schließlich hätten seine theologisch gebildeten Zuhörer – die er hier besonders anspricht – sofort darauf reagiert und ihn der Irrlehre bezichtigt. Schließlich waren die Pharisäer damals Gegner hellenistischer Vorstellungen, zu denen auch die griechische Seelenlehre und Hadesvorstellungen gehörten. Hades war für sie das Grab. Sie übernahmen zwar das griechische Wort, gaben ihm aber einen hebräischen Inhalt. Für sie stand fest, dass Tote kein Anteil am Weltgeschehen haben und ihre seelisch-geistigen Funktionen „ausgeschaltet“ sind (Pred 9,5.6.10), dass wir Menschen im Tod den Tieren nichts voraus haben und allen an den gleichen Ort kommen und zu Staub werden (Pred 3,19.20), und dass die Verstorbenen in ihren Gräbern bis zu Auferstehung am Ende der Welt ruhen, um dann erst ihre Belohnung zu erhalten (Dan 12,13).



Oft wird angeführt, dass in Lk 16,19-31 „Hades“ und „Qual“ in einem Atemzug genannt werden. Doch in der ältesten Bibelhandschrift, dem Codex Sinaiticus (und auch in der lateinischen Vulgata aus dem 4. Jh.) sind die Wörter so geordnet, dass die Verse 22+23 lauten: „Es starb aber auch der Reiche, und er wurde bestattet und ins Grab gelegt. Als er nun in Qualen war ...“ (siehe auch die katholische Bibelübersetzung von Franz von Allioli, Britische und Ausländische Bibelgesellschaft, Wien 1980). Die Erwähnung des Grabes (Hades) gehört also nach der ältesten uns überlieferten Handschrift noch zur Beerdigung. Nach jüdischer Anschauung ist die Nichtbestattung eines Toten ein Gericht Gottes und eine Schande. Der Fromme ruht dagegen ehrenvoll in seinem (Familien-) Grab. Weil der Reiche hier ganz normal beerdigt wird, hat er also sein ganzes Leben in Freuden gelebt und wurde auch bei seiner Beerdigung von einer Bestrafung oder Entehrung verschont (Strack / Billerbeck, Bd. 2, S. 227). Für die Zuhörer Jesu war außerdem klar, dass die Gottlosen erst am Ende der Welt ins Gerichtsfeuer kommen, und die Gläubigen erst dann von den Engeln gesammelt und zu Jesus gebracht werden. So hat es Jesus auch selbst gelehrt (Mt 24,30.31; Mt 25,31.41; 13,24.30.40-43). – Deshalb muss auch bei der Auslegung dieses Gleichnisses der in der Theologie geltende Grundsatz berücksichtig werden: Keine wichtige Lehraussage auf Gleichnisse zu stützen, die ja symbolische Situationen und Begriffe benutzen. Hier müssen wir uns vielmehr an die klaren und eindeutigen Aussagen Jesu halten.

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