„Gemeinschaft der Christen müßte eigentlich ein Fest sein“

„Gemeinschaft der Christen müßte eigentlich ein Fest sein“
„Gemeinschaft der Christen müßte eigentlich ein Fest sein“

Wenn es nun irgendeine Ermunterung in Christus ⟨gibt⟩, wenn irgendeinen Trost der Liebe, wenn irgendeine Gemeinschaft des Geistes, wenn irgendein herzliches ⟨Mitleid⟩ und Erbarmen,
2 so erfüllt meine Freude, dass ihr dieselbe Gesinnung und dieselbe Liebe habt, einmütig, eines Sinnes seid,
3 nichts aus Eigennutz oder eitler Ruhmsucht ⟨tut⟩, sondern dass in der Demut einer den anderen höher achtet als sich selbst;
4 ein jeder sehe nicht ⟨nur⟩ auf das Seine, sondern ein jeder auch auf das der anderen! (Phil 2:1-4, Elb)

Schwerwiegend scheint mir die Enttäuschung an unserem Gemeinschaftsleben zu sein. Ich vergesse nicht die erschrockene Frage eines Neulings im Glauben, nachdem er seine zukünftige Gemeinde etwas näher kennengelernt hatte: „Werde ich auch so wie die sind?“ Ich verstand zunächst diese Frage nicht. Dann machte er mir deutlich, er habe sich vorgestellt, das geistliche Leben sie ein Wachstum, die Freude an Gott und seiner Sache würde zunehmen, die Liebe sich entfalten und die Gemeinschaft der Christen müßte ein Fest sein. Was er aber inzwischen bei seinen Besuchen in den verschiedenen Häusern entdeckt hatte, war eine echt unterkühlte Temperatur im Blick auf das geistliche Feuer, das er bei reifen Christen erwartet hatte.

Woran liegt es, daß unsere Gemeinschaften oft mehr anstrengend als erholsam sind, - daß sie eher beklemmen als befreien?

Zunächst liegt eine Schwierigkeit darin, daß auch die christliche Gemeinschaft nur einen Teilbereich unseres Lebens deckt. Viele andere Bereiche sind ausgeklammert. Wir können nur in den seltensten Fällen unsere privaten Fähigkeiten einbringen. Wenn wir ein Hobby haben, müssen wir uns vielfach Freunde außerhalb der christlichen Gemeinschaft suchen, um es weiterzupflegen. Sportliche, geistige und musische Fähigkeiten können oft im Rahmen der christlichen Gemeinde nicht geweckt und befriedigt werden. Die meiste Zeit, in der wir zusammen sind, werden wir angeredet oder angepredigt. Wir dürfen vielleicht etwas „dazu“ sagen, aber schon auf keinen Fall etwas dagegen. Die Spielregeln einer lebendigen Gemeinde sind gar nicht bekannt, und deshalb bleiben so viele Zusammenkünfte eben nur Versammlungen, die nicht zu einer Gemeinschaft führen. Aus diesem Mangel heraus meinen auch viele, sie müßten mit ihren Privatsorgen und ihren Problemen alleine fertigwerden. Häufig versucht man ja sogar den Anschein zu erwecken, gar keine privaten Nöte zu haben. Dabei sollte doch im Ursprung die „Gemeinschaft der Heiligen“ eine totale Gemeinschaft sein, wenn nötig auch im Essen und Trinken und im Teilen der Güter, - eine Gemeinschaft im Leiden und im Freuen, eine Gemeinschaft, die Geborgenheit schenkt und so viel Vertrauen, daß man sich darin nicht nur öffnen kann, sondern ganz so sein kann, wie man wirklich ist, - ein Zusammensein, bei dem man lernt, den anderen richtig zu verstehen und sich verstanden zu fühlen, sich nicht nur mit eigenen Augen, sondern mit Augen der anderen zu erkennen, - eine Lichtgemeinschaft, in der unser Wesen von allen Seiten durchleuchtet und hell gemacht wird.

Wir müssen einfach zugeben, daß wir nicht gelernt haben, Gemeinde richtig aufzubauen. So wenig, wie wir unsere persönlichen Wachstumsstufen kennen, kennen wir die Wachstumsformen und – stufen einer Gemeinschaft. Vielleicht haben wir noch ein Ideal, ein Vorstellung von dem, wie sie eigentlich sein müßte. Weil wir jedoch nicht den Weg und die entsprechenden kleinen Schritte zur Verwirklichung finden, bleibt von diesem Ideal nur die Resignation. Wir müssen uns wieder aufmachen, die Lebensformen der Gemeinschaft zu entdecken und einzuüben. Wir werden sie im Neuen Testament suchen müssen und überall dort, wo Menschen Gemeinschaft erprobt und ihre Erfahrung darin durchdacht haben. Sicher können wir auch eine ganze Menge aus dem wissenschaftlichen Bereich der Gruppendynamik lernen, wenn es uns gelingt, die heilsamen Formen von den unguten und abartigen Extremen zu unterscheiden.

Vielfach haben wir noch nicht wahrgenommen, daß nicht nur unsere Zeit unsicher geworden ist in ihrem Verhalten, in lebenswichtigen Bereichen, sondern daß auch junge Christen durchaus nicht wissen, wie ein vom Heiligen Geist durchdrungenes Leben aussieht. Wie lebt eine christliche Familie in ihrem Alltag? Wie gestaltet sich eine christliche Ehe? Worin unterscheidet sie sich von einer nichtchristlichen?


(Wilhard Becker, „Keine Rolltreppe zum Himmel“, 1973)

Kommentare

Schreib auch du einen Kommentar