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"Die Überwindung des Sündenbock-Syndroms"

"Die Überwindung des Sündenbock-Syndroms"
Die Überwindung des Sündenbock-Syndroms

Schon immer haben Menschen, die miteinander auskommen mußten, versucht, ihre Angst voreinander zu überwinden. Eine beliebte und bewährte Methode ist die Suche nach dem Sündenbock. Unsere Psyche ist so organisiert, daß sie Angst und bedrohliche Gefühle nach außen verlagern kann. Wenn in einer Gruppe zu viel Angst voreinander herrscht, läßt sich diese Angst gut damit kaschieren, daß man ein Feindbild aufbaut. Der Feind trägt dann die Projektionen der Angst. Er ist dann der Böse, die Bedrohung der Gemeinschaft. Weil die Bedrohung als von außen kommend erlebt wird, kann sich die Gruppe dadurch besser innen zusammenschließen.

Eine Gesellschaft, die nicht in der Lage ist, sich selbst richtig, d. h. Umfassend mit ihren Licht- und Schattenseiten, zu sehen, braucht für ihr psycho-soziales Gleichgewicht immer Personen oder Personengruppen, auf die sie ihre „bösen, negativen“ Anteile projizieren kann.

Zur Wir-Bildung in einer Gemeinschaft wird häufig das Gegenüber, das „ihr“ gebraucht. „Wir“ - das sind die Guten, die Richtigen, die Rechtgläubigen. „Ihr“ - das sind die auf dem Irrweg, die Gefährdeten oder Gefährlichen, die Bedrohten oder die Bedrohlichen.

Auch in der großen Politik ist dieses Phänomen überall zu entdecken. Oft ist das Gleichgewicht der Mächte auf der Instandhaltung dieses „Sündenbockssyndroms“ aufgebaut: Der andere draußen trägt deutlich alle Zeichen der bösen Absicht. Tatsächlich ist er aber nur Träger der eigenen unerkannten und unbewußten Motive. In der Politik wird der Sündenbock systematisch aufgebaut. Vielleicht aber nicht nur dort! Was ich bei mir noch nicht sehen kann, noch nicht für möglich halte, entdecke ich aber bereits beim anderen. Unsere gesellschaftlichen Systeme sind durchweg nach diesem Muster gebaut. Jede Diktatur braucht ihren Feind, jede Demokratie braucht ihre Opposition.
Eine Gemeinschaft, die ohne Feindbild auskommen will, benötigt ein hohes Maß an Selbsteinsicht. Sie muß bereit sein, die eigenen Schattenseiten zu erkennen und anzunehmen. Ob nicht sogar unsere Vorstellung von der Ewigkeit mit den Gegensatzpolen „Hölle“ und „Himmel“ - hier die Guten, dort die Bösen – eine ins  Unendliche projizierte Sündenbockproblematik ist?

Die Lösung der Angstfrage durch die Projektion nach außen ist – wenn überhaupt – sicher nur eine vorübergehende Lösung und entspricht nicht der neuen Gesellschaft des Geistes.
Zur neuen Gemeinschaft gehört das, was im 1. Johannesbrief formuliert ist und der Rücknahme der Projektionen entspricht:

Wenn wir sagen, dass wir keine Sünde haben, betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns.
9 Wenn wir unsere Sünden bekennen, ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von jeder Ungerechtigkeit. (1. Joh 1:8-9, Elb)

Hier wird von der Gemeinschaft im Licht gesprochen, die nur dort zustande kommt, wo auch der Schatten erkannt, aufgenommen und bearbeitet wird.
Die Annahme des Schattens, der Fehler, der Sünden ist nicht nur ein Problem, sondern sie bietet auch eine Chance zur Entfaltung der Liebesfähigkeit, der Liebe zu sich selbst und zu anderen. Wo die dunklen Seiten der Person verdrängt werden, wird auch das Wachstum verhindert.

Und an dieser Aufgabe zu arbeiten, sind einige Grundeinstellungen hilfreich. Das ist zunächst die Grundeinstellung des Nicht-Richtens, weil das Richten die Eigenproblematik nach außen verlagert, den eigenen Maßstab absolut setzt und den anderen, der gerichtet wird, in seiner Entwicklung nicht ernst nimmt. Damit nimmt man auch den Geist, der in ihm und an ihm wirksam ist, nicht ernst. Der Geist hat mit jedem seine Zeit und wird jeden zu seiner Zeit in seine Wahrheit leiten.

Zum anderen ist eine Einstellung wichtig, die im Neuen Testament mit Barnherzigkeit bezeichnet wird.

Darum seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. (Luk 6:36, Schlachter)

Denn das Gericht wird unbarmherzig ergehen über den, der keine Barmherzigkeit geübt hat; die Barmherzigkeit aber triumphiert über das Gericht. (Jak 2:13, Schlachter)

Barmherzigkeit ist der Triumph des Herzens über den Verstand – die Überwindung des Rechtsanspruchs durch die Liebe.

Beide Qualitäten, das Nicht-Richten und die Barmherzigkeit, sind nur dem zu eigen, der an sich selbst erlebt hat, daß er keinem Gericht standhalten kann, daß er selbst auf Barmherzigkeit angewiesen ist. Wer dies annimmt und zugibt, setzt sich selbst in den Stand der vom Geist angebotenen Freiheit und kann dadurch auch seine Umwelt freisetzen und einen angstfreien Raum um sich schaffen, der die Lebensprozesse des neuen Lebens fördert.

(Wilhard Becker, „Wandlungen“, 1987)
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Wahrnehmung
Was macht ein Erdling und Unerlöster, wenn ihm sein Feindbild abhandengekommen ist? - Er sucht sich ein Neues, denn seine verletzte Seele verlangt nach Ausgleich.

Kommentare

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Zeitzeuge 30.07.2022 10:10
Rassenwahn-Massenwahn-Kriegswahn. Ein Beitrag zur Anatomie der letzten drei deutschen Diktaturen (Dr. Josef Thoma)

https://odysee.com/@einfach_ich:d/josef.thoma:7
 
done 30.07.2022 10:16
ein ganz wichtiger input
 
(Nutzer gelöscht) 30.07.2022 11:01
Einmal mehr, danke für das Thema, lieber Zeitzeuge. Es spricht mich immer wieder an und lehrt mich das Leben im Blickwinkel der Bibel zu verstehen, - spricht hinein in den Alltag und in Beziehungen. 
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