FOCUS: Bloß nicht selber denken! Willkommen in der neuen Staatsgläubigkeit❗
15.06.2025 11:35
FOCUS: Bloß nicht selber denken! Willkommen in der neuen Staatsgläubigkeit❗
15.06.2025 11:35
FOCUS: Bloß nicht selber denken! Willkommen in der neuen Staatsgläubigkeit❗

Neulich bin ich über ein altes Video der „re:publica“ 2024 gestolpert. Also jener progressiv-linken Digitalkonferenz in Berlin, bei der jedes Jahr Journalisten, Wissenschaftler, Aktivisten und Politiker zu Vorträgen und Workshops aufschlagen.
Irre: Kollege verdreht Aufgabe des Journalismus komplett
Der Journalist Thilo Jung war auch dort und sagte folgende schwer verdauliche Sätze: „Es ist nicht die Aufgabe von Journalismus, über die Themen zu informieren, die die Leute wissen wollen. Sondern über das, was sie wissen sollen.“ Als Beispiel nannte er das Thema Migration. Wenn das laut Umfragen den Menschen die größten Sorgen bereitet, sei es trotzdem nicht der Auftrag des Journalismus, dies abzubilden.
Was für ein irrer Satz. Natürlich ist es genau andersherum. Denn was bitte legitimiert Journalisten, von oben herab zu entscheiden, worüber sie die Menschen aufzuklären haben?
Ich habe gelesen, dass die „re:publica“ vor einigen Jahren noch ziemlich nerdig war. Getragen war sie von einem antiautoritären Geist. Natürlich war man staatsskeptisch, es ging gar nicht anders. Hatte man doch Angst vor einem digitalen Überwachungsstaat, vor Geheimdiensten, damals vor allem vor der verhassten Vorratsdatenspeicherung.
Progressive Bubble: Erst antiautoritär, jetzt obrigkeitshörig
Heute scheint sich nicht nur auf der „re:publica“ das Denken grundlegend geändert zu haben, sondern in der progressiven Bubble insgesamt. Jetzt findet man dort eine Haltung à la Thilo Jung: Denkt bitte nicht zu viel selbst – das erledigen jetzt andere für euch. Die großen Medienhäuser. Oder: Der Staat. Die Wissenschaft. Der Verfassungsschutz. Die sagen euch, was ihr wissen müsst. Was ihr glauben sollt. Alles ganz bequem. Die höheren Instanzen wissen es besser.
Es verwundert mich deshalb kein bisschen, dass brisante Informationen heute nicht mehr unbedingt von den großen Medienhäusern aufgedeckt werden. Sondern von kleinen oder gar alternativen Plattformen.
Die ungeschwärzten RKI-Files: Öffentlich gemacht von einer freien Journalistin. Die AKW-Files, die einen Bundestags-Untersuchungsausschuss zur Abschaltung der Atomkraftwerke auslösten: Freigeklagt vom Magazin „Cicero“. Und das erst unter Verschluss gehaltene Verfassungsschutz-Gutachten zur AfD? Veröffentlicht nicht etwa vom „Spiegel“, der es ebenso besaß, sondern von „Cicero“ und „Nius“.
Brisante Infos werden oft von kleineren Plattformen aufgedeckt
Man kann das schon ein bisschen tragisch finden. Aber wie Thilo Jung schon sagte: Manche widmen sich offenbar lieber dem, was die Menschen in ihren Augen wissen sollen, statt dem, was sie wissen wollen.
Noch vor wenigen Jahren waren es vor allem Grüne und Linke, die Transparenz für essenziell in einer Demokratie hielten. Die ein großes Herz für Whistleblower hatten. Man erinnere sich nur an den Fall Edward Snowden, ihm wollten sie damals Asyl gewähren – der Affront gegenüber den USA war ihnen ziemlich egal.
Geheimdienste waren links eingestellten Menschen generell suspekt, sie sahen sie als Bedrohung für die Bürgerrechte. Die Grünen wollten vor etwas mehr als zehn Jahren den Verfassungsschutz sogar ganz auflösen.
Grüne wollten den Verfassungsschutz einstmals auflösen
Ich habe dazu etwas im Internet gewühlt, ich fand die Thematik ungemein spannend. Denn was man damals in einer Publikation der Böll-Stiftung – der Denkfabrik der Grünen – dazu liest, ist aus heutiger Sicht kaum zu glauben.
„Inlandsgeheimdienste dienen zur Überwachung derjenigen Kräfte, die den Status quo der aktuellen Repräsentanzen gefährden könnten“, las ich da. Die Begriffe Verfassung und Demokratie könnten so zu ideologischen Worthülsen werden, die nur dem Erhalt eben jenes Status quo dienen würden.
Wow, was für Töne. Und sie haben gar nicht Unrecht damit. Nur das Bittere daran: Heute würde das ausgerechnet die AfD so sagen.
Die folgenden Sätze der Grünen-Stiftung haben es noch mehr in sich, steht da doch ziemlich gut erklärt, warum Geheimdienste und Demokratie gar nicht mal so einfach zusammenpassen:
„Diejenigen, die versuchen, mit Gewalt die Demokratie abzuschaffen, werden damit früher oder später gegen Gesetze verstoßen und können für ihr Handeln in rechtsstaatlichen Verfahren juristisch zur Verantwortung gezogen werden. Jedoch zielt eine geheimdienstliche Überwachung derjenigen, die die bestehende politische Ordnung durch neue Ideen ersetzen wollen, auf eine Überwachung der Demokratie selbst ab.“
Denn: Es sei schwierig „zu legitimieren, warum mit geheimdienstlichen Mitteln gegen diejenigen vorgegangen wird, die ihre gesellschaftspolitischen Visionen nicht in absoluten Einklang mit der aktuellen Version des Grundgesetzes bringen können. Auch die Veränderung des Grundgesetzes ist Teil des demokratischen Prozesses“.
Was damals die Grünen feststellten, gehört heute zur AfD-Denke
Und als wäre das nicht schon nachdenkenswert genug, stellte der linksliberale Autor der Süddeutschen Zeitung, Heribert Prantl, bezogen auf den Verfassungsschutz damals die treffende Frage: „Hat er Zweifelnde von der Verfassung überzeugt – oder hat er sie in ihren Zweifeln bestärkt?“
Es ist also schon eine Art Ironie der Geschichte. Das, was damals an Zweifeln gegenüber dem Verfassungsschutz in den Hirnen von Grünen-Wählern herumschwirrte, findet sich jetzt ähnlich bei der AfD. Denn heute ist sie es nun mal, die (mindestens) den Status quo gefährdet. Links findet man den Verfassungsschutz dagegen gerade ziemlich super. Wie konnte es nur so weit kommen?
Neue Staatsgläubigkeit: Corona-Pandemie hat Deutschland verändert
Ich vermute, die Corona-Pandemie ist schuld. Noch nie hat der Staat in der Bundesrepublik so durchregiert wie damals. Plötzlich konnte es einigen auch links der Mitte nicht genug Polizei auf den Straßen geben, um Corona-Demonstrationen aufzulösen. Bürgerrechte waren plötzlich eher nebensächlich – solange es gegen die Richtigen, also die „Schwurbler“ ging. Hier wuchs die neue Staatsgläubigkeit.
Schnell hatte man damals außerdem eine neue Instanz gefunden, an die man das Denken delegieren konnte: „die Wissenschaft“. Die weiß alles besser, da sitzen die Profis. „Hört auf die Wissenschaft!“ wurde zum Schlachtruf, wie zuvor schon in der Klimadebatte.
Erschreckende Entwicklung: Die neue Bequemlichkeit des Denkens
Das Erstaunliche, ja Erschreckende: Viele scheinen genau das gut zu finden. Sie wollen einen Staat, der ihnen sagt, wie Demokratie funktionieren muss. Einen Verfassungsschutz, der für sie beurteilt, ob die AfD rechtsextremistisch ist. Eine Wissenschaft, die verkündet, welche Maßnahmen richtig sind. Medien, die ihnen sagen, was sie wissen sollen, und nicht, was sie wissen wollen. Instanzen, die ihnen die Denkarbeit abnehmen. Nach dem Motto: Der Staat weiß, was gut ist. Die Medien wissen, was wichtig ist. Die Wissenschaft weiß, was wahr ist.
„Hör auf, alles hinzunehmen und blind zu glauben, was der Staat, die Kirche, die Lehrer, selbst Wissenschaftler und Experten dir sagen, und denk selbst nach.“ Das ist der Kernsatz des aufgeklärten Denkens. Immanuel Kant hat es nur etwas komplizierter ausgedrückt. Heißt: Es sollte immer auch der eigene Kopf sein, der durchcheckt, was man von etwas hält.
Man darf auch mal wieder Geheimdienste kritisch hinterfragen. Das ist eine urlinke Position, keine der Rechten. Scheint ganz so, als wären es mittlerweile Menschen links der Mitte, die dringend etwas antiautoritäre Erziehung nötig hätten.
Kommentare
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MB73 15.06.2025 11:36
https://www.focus.de/politik/meinung/bloss-nicht-selber-denken-willkommen-in-der-neuen-staatsglaeubigkeit_9e2743b9-8fd3-4143-b002-293dc8feea21.html